Vorinformation:
Ein Mädchen, nennen wie es hier Kati, ist 17 Jahre alt und adoptiert, worüber sie Bescheid weiß. Sie hat Schulprobleme (kurz vor dem Abitur geht sie nicht mehr zur Schule), reagiert heftig und aggressiv auf ihre Adoptivmutter, schmeißt mit Gegenständen, gleitet in schlechte Gesellschaft ab, und macht, was sie will. Die Adoptivmutter ist ratlos. Zur leiblichen Mutter besteht weder durch die Adoptiveltern, noch die Tochter Kontakt.
Es wird eine epa-Aufstellung zu der Thematik gemacht. Die Adoptivmutter und die Tochter sind beide anwesend und beobachten das Geschehen. Aufgestellt werden die Tochter, die Adoptiv- und die leibliche Mutter, d.h. aus dem Raum der Zuschauer, werden Stellvertreter für die Positionen gewählt.
Geleitet wird die Aufstellung von Christine Schulze.
Im Folgenden finden Sie eine Kurzform der Aufstellung. Zwischen einzelnen Schritten liegen teilweise Prozesse, die durchgemacht wurden, bevor eine Person etwas Bestimmtes aussprechen oder fühlen konnte – diese sind hier nicht detailliert beschrieben.
Nachdem alle Stellvertreter im Raum aufgestellt sind und sich in ihre Rollen hinein gefühlt haben, befragt die Aufstellungsleiterin jeden einzeln nach seinem Befinden und ob er/sie eine Verbindung zu irgendeinem weiteren im Raum aufgestellten Element empfindet.
Die Adoptivmutter fühlt sich rat- und hilflos und allein gelassen. Ihr wachsen die Probleme mit der Tochter über den Kopf und sie hat gleichzeitig das Gefühl, keine „gute“ oder vielmehr keine „richtige“ Mutter zu sein, denn eine „richtige echte“ Mutter müsste doch wissen was zu tun ist.
Die leibliche Mutter schaut weg, möchte von dem Vorgehen und den Problematiken nichts wissen und fühlt sich unbeteiligt. Sie steht weit entfernt.
Die Tochter fühlt sich ebenfalls völlig allein gelassen. Sie nimmt die leibliche Mutter wie durch einen Schleier, sehr weit entfernt wahr und empfindet große Wut. Sie weiß selbst jedoch nicht genau, warum und auf wen eigentlich. Sie versteht nicht, warum die leibliche Mutter sie nicht ansehen kann und ergreift das Wort:
Tochter: „Ich bin die Jüngste hier und muss das Wort ergreifen? Ich muss hier alles klären?“
Es findet ein Prozess mit der leiblichen Mutter statt. Nach diesem Prozess, in dem es um sie selbst ging, kann sie sagen:
Leibliche Muter: „Ich will nichts mit Dir zu tun haben“.
Als dies ganz klar und ohne Verschönerung oder Entschuldigung ausgesprochen wird, fühlt die Tochter, was sie eigentlich so wütend macht und wo ihre Wut hingehört: „Das macht mich wütend! Und weil Du aber nicht da bist, weil Du völlig unerreichbar bist, kriegt die Adoptivmutter alles ab!“
Es findet ein Prozess mit der Adoptivmutter statt, in dem sie erkennt, dass sie wie eine Zielscheibe für die Wut der Tochter, jedoch nicht der richtige Adressat ist.
Adotivmutter: „Ich möchte Dich als Tochter nehmen, aber weiß nicht wie es geht. Ich hätte mir gewünscht, dass Du aus meinem Bauch kommst. Ich bin keine richtige Mutter. Ich hatte Sehnsucht nach einer Tochter. Ich wollte, dass jemand für mich da ist. Das hast Du nicht erfüllt“.
Nun geschieht etwas mit der Tochter. Sie wendet sich an die Aufstellungsleiterin: „Ich merke, ich bin auch auf meine Adoptivmutter wütend. Das sind doch ihre Probleme. Ich kann doch nicht dafür da sein, ihre Sehnsüchte zu befrieden. Wieso soll ICH da was klären? Ich will eine Mutter haben!“
Adoptivmutter: „Ich bin doch die soziale Mutter – aber wir haben keine Nabelschnur“.
Leibliche Mutter (die immer noch weg schaut): „Ich bin weit weg, aber höre dennoch, was hier vor sich geht. Ich höre die beiden gerne streiten. Wie auf einer Bühne befriedigen die was in mir. Ich empfinde, ich habe Macht über die Adoptivmutter. Sie muss stellvertretend meine Konflikte lösen. Das gefällt mir. Hier dreht sich eigentlich alles um mich – aber keiner merkt es“.
Die Adoptivmutter bekommt Wut auf die leibliche Mutter, die sie „Rabenmutter“ nennt. Dabei bemerkt sie, dass ihr diese Gefühle bekannt vorkommen. Auch sie selbst hatte eine „Rabenmutter“ gehabt, eine Mutter, die zwar da war, sich aber kaum um sie gekümmert hatte.
Die Tochter hat sich zwischenzeitlich auf den Boden gesetzt und ist nicht mehr wütend, sondern bedrückt: „Ich wäre gerne aus dem Leib meiner Adoptivmutter gekommen. Ich muss Mutter für sie sein. Die Rollen sind irgendwie gewechselt. Ich schaffe das nicht!“
Adoptivmutter: „Das ist nicht nur meine Schuld. Du hast mich nie wirklich als Mutter akzeptiert. Vielleicht hätte ich dir nicht sagen sollen, dass du adoptiert bist? Wenn du mich als Mutter nicht wahr nimmst, dann nimm mich doch als Tochter!“
Leibliche Mutter zu Tochter: „Jedes Kind hat eine Mutter. Stell Dich nicht so an“. Zu Adoptivmutter: „Du bist halt nicht fruchtbar“.
Dies trifft die Adoptivmutter an einem sehr wunden Punkt. Sie ist bestürzt, sauer. Adoptivmutter: „Stimmt“. Sie kann nicht mehr aufrecht stehen und setzt sich auf den Boden, den Kopf zwischen den Knien.
Tochter: „Wenn meine leibliche Mutter Dich angreift, fühle ich, dass ich dich verteidigen muss. Ich sehe, dass du dich nicht selbst verteidigen kannst. Ich bin wie ein Spielball zwischen zwei Parteien. Eigentlich möchte ich doch nur eine Mutter. Ich weiss nicht, was ich tun soll, was richtig ist“
Die Aufstellungsleiterin nimmt das Kind aus dem Geschehen heraus: „Setz Dich zurück, das müssen die Erwachsenen klären.“ Das Kind ist erleichtert und setzt sich an die Seite.
Nun stehen sich die beiden Mütter gegenüber.
Es findet eine längere Unterhaltung zwischen den beiden Müttern statt. Angesprochen werden dabei die Entscheidungen beider Mütter, ein Kind anzunehmen bzw. ein Kind wegzugeben.
Adoptivmutter: „Ich nehme die Mutterrolle sehr ernst, denn ich habe mich dafür entschieden. Als Kati kleiner war, hatte ich eine bessere Beziehung zu ihr. Erst mit dem Auftreten dieser Probleme bin ich verunsichert und denke „Bin ich die Richtige? Bin ich überhaupt eine richtige Mutter?“
Die leibliche Mutter ist nicht verbunden mit dem Grund, warum sie das Kind weggegeben hat. Sie fühlt eigentlich nichts, nur das dicker werden des Bauches. Leibliche Mutter: „Ich bin nur verbunden mit dem Schwangersein und dann plopp, kommt das Kind raus. Dann ist es aus. Dann bin ich wieder schwanger, dann plopp, und schon ist es wieder draußen, ab da ist kein Gefühl. Auch bei dem Weggegeben fühle ich gar nichts. Das ist wie etwas Fremdes für mich. Ich habe damit gar nichts zu tun innerlich“.
Leiterin zu Leiblicher Mutter: „Hast Du denn eine Beziehung zu Deiner Mutter?“
Leibliche Mutter: „Ja, aber keine positive. Ich bin ein missratenes Kind. Ich hatte gutes Elternhaus und bin dann mit 17 Jahren von zu Hause weggegangen. Ich will nicht zu Gefühlen gefragt werden. Ich habe die Zeit ausgeblendet (wo das Kind kam und die Weggabe) und nachher ging die Zeit einfach weiter“.
Die Tochter, die die Zeit über am Rande gesessen hat, steht auf und tritt wieder in´s Geschehen:
Tochter: „Ich weiss jetzt, warum ich mich immer so fühle, als wenn ich keine feste Basis in mir habe. Ich glaube, dass an mir was falsch ist. Das muss ja so sein, wenn meine Mutter mich abgegeben hat. Ich denke, ich bin nichts wert.
Zu der Adoptivmutter: „Auch bei dir ist es so. Denn wenn ich anders wäre, könntest du ja vielleicht auch eine gute Mutter sein. Ich wechsle ständig zwischen Wut, die sich nach außen richtet und Selbsthass“.
Nun kommt die leibliche Mutter zum ersten Mal mit ihren Gefühlen in Kontakt. Sie sitzt am Boden und kann nicht sprechen. Sie schaut weg und sagt zu der Aufstellungsleiterin: „Ich bin wie eine Leihmutter für die Adoptivmutter.“
Adoptivmutter: „Nein. Ich hätte gerne ein Kind, dessen Eltern gestorben wären“. Zur leiblichen Mutter: „Wie kann man nur ein Kind aussetzen? Ich verstehe das nicht!“
Die leibliche Mutter steht zur Wand und redet nicht. Tränen laufen ihr über die Wangen. Sie sagt (zur Wand): „Siehst du. Das passiert immer, wenn Gefühle da sind. Ich will nicht mehr fühlen“.
Aufstellungsleiterin zur Adoptivmutter: „Kannst Du mal die leibliche Mutter als Mutter wert schätzen?“
Adoptivmutter: „Nein, das geht nicht. So was ist doch keine Mutter!“
Es folgt ein Prozess, in dem sich die Adoptivmutter mit ihrem eigenen Schmerz unfruchtbar zu sein und keine Kinder bekommen zu können, auseinander setzt. Während dieses Prozesses, kommt die Tochter immer näher (an die Adoptivmutter), wächst ganz groß und beginnt zu lächeln und zu strahlen.
Tochter: „Jetzt verstehe ich mein Problem. Meine Adoptivmutter respektiert nicht, wo ich herkomme. Aber das ist meine Herkunft, ein Teil von mir. Deswegen respektiert sie auch mich nicht gänzlich!“
Die leibliche Mutter (die sich mittlerweile mit dem Rücken an die Wand gesetzt und den schmerzhaften Prozess der Adoptivmutter mitverfolgt hat): „Ich sehe, das du auch Schmerzen hast. Ja, jetzt kann ich es sagen. Ich auch. Ich brauche Anerkennung. Ich wünsche mir so sehr, dass Du (Adoptivmutter) mich wert schätzt“.
Adoptivmutter (in Tränen aufgelöst, verzweifelt): „Aber ich will es selbst spüren, wie das ist, ein Kind zu gebären“. Wendet sich an die Aufstellungsleiterin: „Ich spüre diesen Neid auf die leibliche Mutter, diesen Groll – die darf es spüren und schätzt es nicht!“
Leibliche Mutter (steht auf und geht auf die Adoptivmutter zu): „Aber du kannst sie doch jeden Tag neu gebären. Im Herzen neu gebären. Annehmen – Loslassen, Annehmen – Loslassen! Du hast sie doch, sie ist bei Dir“.
Dieser Satz bringt einen großen Wendepunkt, er ist wie eine Erleuchtung für die Adoptivmutter.
Adoptivmutter: “Du hast recht. Ich kann sie jeden Tag neu gebären. Ich hab sie ja jeden Tag bei mir! Ich kann loslassen – und wieder annehmen. Immer wieder neu! Jetzt kann ich Danke sagen“.
Bedankt sich bei der leiblichen Mutter, wertschätzt und würdigt sie als Mutter.
Leibliche Mutter (weint): „Ich habe sie nicht richtig losgelassen. Mich nicht verabschiedet. Und jetzt ist es zu spät. Sie ist fort“.
Adoptivmutter: „Ich habe oft das Gefühl, ich habe etwas nicht richtig gemacht, darüber vergesse ich meine Tochter. Ich bin dann so sehr bei mir selbst und meinen Idealen einer Mutter und meinen Schuldgefühlen“. (Zu Kind) „Tut mir leid“.
Tochter: „Nein, das brauche ich nicht. Ich brauche keine Entschuldigungen. Ich bin hier hergekommen, um aufzuräumen. Ich kann die beiden so nehmen, wie sie gerade sind: die eine hat mich geboren, die andere mich aufgezogen. Wenn sie wie jetzt ehrlich und achtvoll miteinander reden, kann ich einfach ich sein“.
Leibliche Mutter: „Ich sehe für mich, ich habe da etwas falsch gemacht. Ich habe dieses Weggeben einfach ausgeblendet, ich wollte, dass es schnell vorbei ist, wusste doch nicht, wie ich es anders hätte machen können. Ich habe mein Kind nicht in den Arm genommen. Ich hätte das Kind gerne von meinem Arm in Deinen gelegt, es Dir persönlich übergeben“.
Es folgt ein Prozess, in welchem die leibliche Mutter ihre Tochter empfängt, gebärt und in ihrem Arm und der Welt willkommen heißt. Ihr erklärt, dass sie wundervoll ist. Und sie dann der Adoptivmutter übergibt:
Leibliche Mutter: „Das ist meine kleine Pflanze. Ich habe keine Beziehung zu ihr. Ich möchte, dass sie sehr schön wird, noch schöner, als sie ohnehin schon ist. Ich kann überhaupt nichts mit Babys anfangen, kann sie nicht wickeln, weiss nicht, wie ich mit ihnen umgehen soll. Das ist nicht schlimm. Ich verzeihe es mir, dass ich das nicht weiss. Ich bin noch sehr jung und ich bin aus gutem Hause. Ich möchte meine Tochter weggeben und mit ihr das Stigma, dass sie unehelich ist (in meiner Familie). Ich möchte, dass sie es besser hat. Ich habe dich nicht ausgesucht als Mutter und ich habe Angst, ob ich mich richtig entscheide“.
Adoptivmutter: „Ich nehme das Kind von Herzen. Ich nehme meine Verantwortung wahr, tue alles, dass es ihr gut geht. Und ich danke Dir, dass Du meine Sehnsucht als Mutter erfüllt hast“.
Leibliche Mutter: „Es tut mir leid, aber ich kann Deine Sehnsucht nicht erfüllen. Mir ist nur wichtig, dass Du sie von Herzen liebst, und mir ist wichtig, dass Du ihr das sagst, weil ich es nicht konnte“.
Die Übergabe des Baby findet statt.
Leibliche Mutter: „Es ist besser, das Baby an ihrem Busen zu sehen“.
Adoptivmutter: „Ich danke Dir von Herzen und sage unserer Tochter: ich liebe Dich von Herzen. Jetzt kann ich unbegrenzt lieben“.
Leibliche Mutter: „Oh. Das unser heilt etwas in mir!“
Adoptivmutter: „Danke, ich freue mich, dass ich unsere Tochter im Arm hab. Diese Sehnsucht, selbst ein Kind zu gebären ist jetzt weg. Das macht mich frei und leicht. Etwas in mir ist in Erfüllung gegangen.
Tochter: „Als die leibliche Mutter gesagt hat „unsere“ Tochter hat für sie Heilung gebracht, das hat auch etwas in mir bewegt. Es heilt wirklich etwas. Wir hatten bis jetzt einen stillen Krieg geführt. Jetzt ist Frieden geboren. Jetzt darf ich zwei Mütter haben. Die eine hat mich geboren, die andere aufgezogen. Ich fühle mich geheilt, und das heißt, ich fühle mich jetzt wertvoll. (Wird ganz übermütig und freudig) Und zwei Mütter ist jetzt besser als eine.Ich würde mir wünschen, dass jedes (Adoptiv)Kind persönlich von Mutter zu Mutter übergeben wird. Ich hatte mich wie ein Spielzeug gefühlt, um das man sich zankt. Jetzt, mit Respekt übergeben worden, bin ich etwas wert“.
Leibliche Mutter (Zur Adoptivmutter): ich würde jetzt gerne Schwester zu dir sagen. Und ich fühle mich mit dir verbunden, besonders in meinem Bauch, so als wenn ich einen Kraftstrom von meinem Unterbauch zu Deinem schicke“.
Adoptivmutter: „Danke, ich höre das. Aber ich brauche das nicht. Für mich ist es jetzt gut“.
Aufstellungsleiterin: „Jede Mutter hat ihren Wert als Mutter mit eigener Aufgabe“.
Adoptivmutter: „Ich halte das Baby jetzt noch ein bisschen und werde es jetzt anders nähren, ohne Schuldgefühle“.
Leibliche Mutter: „Ich bin so erleichtert. Du kannst jetzt unbegrenzt lieben und ich muss nicht unbegrenzt lieben. Alles ist gut so“.
Nachinformation:
Einige Tage nach dieser Aufstellung entschloss sich Kati von allein, wieder die Schule zu besuchen – ganz ohne Druck der Adoptivmutter, die dieses Thema nach der Aufstellung komplett loslassen konnte. Die Situation zwischen Adoptivmutter und Tochter ist wesentlich entspannter. Der Adoptivvater, der nichts von der Aufstellung wusste, ist wie verändert und bringt sich aktiv in´s Familiengeschehen ein (was er vorher nicht getan und sich lieber in Arbeit gestürzt hatte). Die Adoptivmutter, die weiterhin mit dem epa-Institut in Kontakt steht, meldet, dass Kati ihr Probleme aus der Schule und Liebeskummer anvertraut und sie um Rat befragt.