Maja hat Kopfschmerzen. Seit ihrer Kindheit leidet sie darunter.
Maja nimmt an einer offenen Gruppe teil. Menschen sind hier zusammen gekommen, um eine neue Art der Heilung zu erleben. Hier wird nicht Maja als Kopfschmerzpatientin erlebt, die ihre eigenen Probleme nicht lösen kann und sich in Kopfschmerzen flüchtet. Hier werden das System und das Umfeld sichtbar gemacht und die Kopfschmerzen selbst können sich Ausdruck verleihen.
Maja wählt jemand von den Anwesenden als ihre Stellvertreterin und führt sie in die Mitte des Kreises. Eine Person als Kopf. Eine Person als ziehenden Schmerz. Eine für den Schrei, den sie dann immer hört und der sie bei ihren Kopfschmerzattacken wünschen lässt, zu sterben. Eine für den Großvater, der im Krieg geblieben ist und eine für die Großmutter.
Alle 6 Personen werden von Maja zueinander positioniert. Dann setzt sich Maja in die Runde und ist nur noch Zuschauerin. Zuschauerin ihres eigenen Lebensdramas, das sich vor ihren Augen beginnt abzulaufen.
Der Kopf hält es nicht mehr aus. Er will weg. Er kennt den Schmerz und den Schrei. Beide gehören zur Großmutter, aber sie erkennt sie nicht. Sie hat mit beiden nichts zu tun. Die Großmutter ist völlig in sich gekehrt und stiert teilnahmslos zu Boden.
Alle schauen schließlich auf die Großmutter. Alle sind wie sie erstarrt. Es gibt keine Bewegung mehr. Der Kopf sagt, er sei tot. Nur der Schmerz und der Schrei könnten ihn wieder zum Leben erwecken. Auch der Großvater ist starr. Die Großmutter. Sie scheint der Schlüssel zu sein. Sie starrt weiter zu Boden. Immer auf denselben Fleck. Der Großvater beginnt zu sprechen. Die Großmutter ist nicht erreichbar. Sie stiert. Eine neue Person kommt ins Feld und legt sich auf den Boden an die Stelle, die die Großmutter im Blick hat. “Großmutter, ich spüre, dass Du mich siehst. Das tut mir gut. Du hattest mich verlassen und vergessen und warst dennoch immer an mich gebunden. Jetzt spüre ich Deinen warmen Blick. Großmutter, ich bin die Heimat. Ich bin die Heimaterde.”
Die Starre ist gelöst. Alle Personen bewegen sich jetzt. Der Großvater tritt an die Seite der Großmutter und nimmt symbolisch etwas von dieser Erde und legt sie in die Hände der Großmutter. Diese bricht in Tränen aus und beginnt zu schluchzen.
All ihre Sehnsucht geht in diesem Moment in Erfüllung.
Dann tritt der Großvater zu Maja: “Maja, ich überreiche Dir einen Teil unserer Erde als Erbe. Bewahre es und gib einen Teil an Deine Kinder weiter. Du bist nun wieder mit der Heimat Deiner Vorfahren verbunden. Dort wo diese Erde ist, ist Heimat für Dich. Nun ist Heimat überall, denn Du trägst die Erde der Heimat in Dir.”
Großvater zur Großmutter; “Ich bin auch bei Dir. Ich wollte Dich nicht so früh verlassen. Vergib mir. Ich habe dich immer geliebt. Ich danke Dir für die Kinder und Kindeskinder, die Du mir gabst.”
“Maja, ich möchte auch Dich segnen. Ich freue mich, dass Du meine Enkelin bist.”
Der Kopf steht jetzt dicht bei Maja und strahlt.
Die Schmerzen und der Schrei haben sich inzwischen zurückgezogen und in die Runde gesetzt.
“Wir werden jetzt nicht mehr gebraucht. Wir dienten zur Erinnerung. Maja kann jetzt für sich selbst stehen. Die Großmutter hat ihren eigenen Schmerz gelöst und Maja hat dadurch ihre Identität wiedererlangt.”
Anmerkung:
1945 war die Großmutter bei -18 Grad Celsius aus Ostpreußen geflohen mit Zurücklassen aller ihr bis dahin bekannten Welten in eine ungewisse Zukunft. Auch ihren geliebten Mann hatte sie nie wieder gesehen. Der Großvater war als Soldat vermisst.
Die Tragödie der Großmutter hatte die Enkelin weiter getragen.